Das ist doch nicht zu fassen
Herr Hack ist bei Sponline über einen Artikel gestolpert der einen wahnsinnig machen kann.
Zitat:
"Anders bei der Arbeitslosenversicherung: Sie zahlt auch bei Vorsatz, also im Falle der Kündigung des Vertrags durch den Arbeitnehmer, und selbst dann, wenn der Versicherte ins Blaue hinein aufhört und keine neue Stelle in Aussicht hat. Wer also die Nase voll hat von Arbeit, sich bisher nicht richtig verwirklichen konnte, lieber durchatmen und ausschlafen möchte und gerne mal ein halbes Jahr Pause einlegt, der kann das im deutschen Sozialsystem tun - auf Kosten der Allgemeinheit."
Mal abgesehen, dass dies ein interessantes Bild dessen ist, was der Herr über seine Untergebenen denkt, erschreckt mich doch der komplette Verlust von Realitätssinn. Arbeit ist also ein Geschenk, welches der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer macht, und wofür dieser sehr, sehr dankbar zu sein hat. War es Solidarsystem nicht mal so, dass ein Arbeitnehmer seine Arbeitskraft, seine Ausbildung, für die er selber gezahlt hat, seine Kraft und seine Gesundheit dem Arbeitgeber zur Verfügung stellt? Und zahlt der Arbeitnehmer nicht auch 50% der Versicherung?
Wenn es nach Herrn Keese geht, dann hat der Arbeitnehmer gefälligst die Arbeit zu machen, die ihm zugeteilt wird, ob sie ihm gefällt oder nicht. Und wer aus dem Job will, weil er einen Chef wie Herrn Keese hat, der ist eben zu weich, zu blöd, zu undankbar. Derjenige, der sich ohne Rücksicht auf Verluste und Kollegen nach oben schleimt, mobbt, lügt, der wird also belohnt. Der Arbeitslose ist faul, verschlagen und vor allem ein Dieb, der den Staat bestiehlt.
In den 70er Jahren waren alle mal stolz auf das Sozialsystem, dass man sich erschaffen hatte. Es galt als fortschrittlich, wenn man Menschen nicht in Schubladen drücken wollte, wenn man anerkannte, dass sie ihre Leistung erbracht haben, und nun (aus welchen Gründen auch immer) für einen Moment von dieser Leistung zehren wollten. Sicher, das Argument: In anderen Ländern gibt es kaum ein Sozialsystem und dort kommen die Menschen ja auch klar, warum sollte das hier nicht gehen, wird gerne angeführt. Aber in anderen Ländern gibt es auch Folter für missliebige Regimekritiker, und das führen wir ja nun auch nicht ein, auch wenn Herr Keese das vielleicht gerne mit seinen Mitarbeiter bei Widerspruch machen würde. Der Gedanke, dass ein Sozialsystem ein Fortschritt und vor allem ein elementarer Bestandteil der Demokratie ist, der Gedanke spielt offenbar keine Rolle mehr.
Die Sozialsysteme leiden, sicher. Aber man muss sich auch mal fragen, warum das so ist. Weil seit den 80er Jahren, die Bevölkerung plötzlich meint, dass es Spaß macht zu Hause auf dem Sofa sitzen? Weil plötzlich niemand mehr arbeiten will? Gibt es also mehr offene Stellen, als Arbeitslose, und ist der Arbeitgeber ein armer Mensch, der verzweifelt versucht einen Angestellten zu finden? Oder war das nicht doch andersherum, Herr Kesse? Und ist es nicht so, dass der gute Arbeitgeber, weil er lieber billigere, jüngere Arbeitnehmer will, weil er bestimmte Arbeiten lieber von unbezahlten Praktikanten erledigen lassen möchte, weil er so Geld spart, einen Arbeitnehmer im diesem Sozialsystem betriebsbedingt kündigen kann, auf Kosten der Allgemeinheit?
Der Bürger soll gefälligst sparen und die Einschnitte ertragen. Vielleicht sollte man dem Staat und Menschen wie Keese mal erklären, dass das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, heutzutage auch darauf beruht, dass auch der Bürger seine Leistungen gegenüber dem Staat freiwillig erbringt und nicht nur umgekehrt.
Und ich frage mich, wie es passieren kann, das Menschen wie Keese in derart verantwortliche Positionen kommen.