Montag, 21. Oktober 2002

Alkohol

Meine erste bewußte Begegnung mit Alkohol fand im stattlichen Alter von 14 Jahren in Form eines Frontalzusammenstoßes mit "Johnny Walker Red Label" statt. Wir hatten uns das sehr lange überlegt und uns ein Wochenende ausgesucht, an dem seine Eltern nicht da waren. Also haben wir uns im dörflichen Supermarkt eine Flasche des Zeugs gekauft. Warum Whiskey? Nun, weil Whiskey ein MÄNNER Stoff ist. Nur echte Männer trinken Whiskey. Schlappschwänze trinken Bier. Oder...pfff...so süßes Zeug. Frauen trinken Schlehenfeuer oder Cognac. Wein trinken Rentner. Also Whiskey. Natürlich nimmt man den, der auch von echten Männern getrunken wird. Scotch. Und selbstverständlich den, der Abends freundlich ins Haus kommt, und einem Mann die echte Entspannung gibt. Hat man erstmal drei Liter intus, ist man ganz Mann und kann wahlweise auf Großwildjagd und Antarktisexpeditionen gehen oder mit klickernden Eisstückchen im Glas sinnierend in Gartenstühlen sitzen.

Das mit den klickernden Eisstückchen war schon mal kein Problem. Und das Motto: "Erst Essen, dann trinken" war uns dank diverser Abstürze der Eltern auch schon geläufig. Also Miraculi gemacht. Danach wurde Johnny geköpft. Das Zeug roch scharf und erinnerte mich olfaktorisch eher an "Domestos", aber so ist das ja häufig: Erst riecht es scheisse, aber dann entfaltet sich der Geschmack der bunten weiten Welt auf der Zunge des geboren Lebemannes. Wir tranken also den ersten Schluck. Das Zeug rann die Kehle runter, ich spürte, wie der Saft, der aus mir nun endlich einen Mann machen würde sich seinen Weg bahnte und auf diesem bedenklich große Stücke meiner Speiseröhre mit nahm. Vielleicht doch ein Schluck Cola rein, klagte ich hustend, während mein Freund versuchte die Tränen aus seinen Augen unbemerkt weg zu wischen. Mit Cola ging es deutlichst besser. Es war aber natürlich ein Bruch mit den Traditionen des Mann-werdens. Man steht schon irgendwie blöd da, wenn man seinen Kindern später zähneknirschend gestehen muss, man habe den Alkohol verwässert. Dann fiel uns ein, dass wir ja das erste Glas pur getrunken hatten und eigentlich..naja... es sind die 80er und da macht man alles anders, das ist ein neues Jahrzehnt, da trinkt man eben alles Cola, immerhin gab es damals "McTwo" von Schweppes, das war Bier mit Zitronenlimonande, und DAS ist ja wohl was ganz anderes, verglichen mit unserem, von alten schottischen Bergbauern in Holzhütten nach einem jahrhundertealten Geheimrezept gebrauten Edelwhiskey von "Lidl". Der Abend ging sehr locker weiter. "Ich spür gar nichts" kicherte ich, legte die neue "Earth, Wind & Fire" Scheibe auf und ratschte mit der Nadel einmal quer drüber. "Hihi" kicherte der als Plattenfetischst schon damals bekannte Freund, der seine Scheiben in Extra PVC Verpackungen steckte, damit sie nicht so abnutzten. So war es also, das Mann-Sein. Man hielt sich an Schrankwandverkleidungen fest und führte Männergespräche mit jemanden, der seit einer Viertelstunde verzweifelt versuchte sich lässig auf eine Fensterbank zu setzen. Toll. Wir sprachen über unsere Zukunft "Geh mir weg mit Frauen...nenene...mit denen schläft man, aber die hat man nicht im Haus." Über unsere Gegenwart "Scheissssse...näxste Woche Englischarbeit" und unsere Vergangenheit "Gestern habsch Pornos inner Mülltonne vom Nachbarn gesehen, echt jetzt." um noch einmal bei der Zukunft zu landen: "Also wenn ich mal mit ner Frau schlafe, dann muss die aber tiptop aussehen." Ja, wir waren Männer. Johnny Walker war ins Haus gekommen, und hatte uns gesalbt. Wir dankten Johnny Walker sehr, klopften uns auf die Schultern und uns war kotzübel. So schliefen wir dann kichernd ein. Zwischen uns lag ein damals modernes Stereoradio. Eine Box an meinem Ohr, eine Box an seinem Ohr. Ich wurde dann kurze Zeit später wieder wach. Jemand schien das Bett, das eh schon rund war, auf eine Drehbank gestellt zu haben. Der Freund musste ein ähnliches Gefühl gehabt haben, denn er hatte mittlerweile Teile seines Abendessens auf dem Radio drapiert. Unschön, schoss es mir durch den Kopf, kurz bevor mein Abendessen ebenfalls diesen Weg einnehmen wollte. Auf dem Weg zur rettenden Toilette blieb ich leider mit der Schulter am Türrahmen hängen. Diese kleine Verzögerung hatte zur Folge, dass sich mein feinausgeklügelter Plan ("Du rennst jetzt schnell los, denn Du hast ungefähr noch 3 Sekunden") sich in Wohlgefallen auflöste, und ich auf den IKEA Teppich kotzen musste. Sowas blödes, dachte ich. Das muss vor allem weg, denn morgen Mittag sind die Eltern wieder da und wie sieht denn das aus. Also nahm ich großzügig ein paar Handtücher, wischte den Krempel auf, stopfte die Handtücher in die Waschmaschine und schlief vor selbiger ein. Das Hallo war groß. Erst fanden die Eltern am nächsten Morgen ihren Sohn, angezogen und in Mitten seines Abendessens, dann den Nachbarsjungen in Fötalhaltung frierend vor der Waschmaschine, die bedenklich roch.

Na, zumindest fanden sie es lustig. Jahre später. Wir aber waren zutiefst vom Mann-Sein enttäuscht, verzichteten auf Alkohl und verlegten uns auf das Rauchen.

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