Die guten Ideen der letzten Jahre im Netz (Flickr, You Tube, Last FM, Craigslist usw.) sind alle aus der Idee entstanden, dass man selber gerne etwas hätte, was aber nicht angeboten wird. Es gab keinen guten Bilder- oder Videohostingservive, es gab kein selbstbestimmtes Radio, keine Kleinanzeigen. Jemand hat sich darüber geärgert und sich gedacht - dann mache ich es eben selber. Die Frage war also nicht: "Was könnten die Leute brauchen?" sondern "Warum gibt es das nicht, ich brauch das." Die Vorgehensweise hat zu sehr, sehr erfolgreichen Geschäften geführt. Große Konzerne und Firmen sahen daraufhin die Möglichkeit, im Web 2.0 richtig Geld zu verdienen. Andere tun es ja auch, da will man nicht warten. Also dreht man jetzt die Fragestellung und geht über zum "Was könnten die Leute brauchen" und fängt an Dinge zu erfinden, bzw. erstmal die Marketing Abteilung prüfen zu lassen, ob diese oder jene Idee bei der und der Zielgruppe vielleicht nicht doch....

Das funktioniert so nicht, und erinnert mich fatal an die Zeit zwischen 1999 und 2001, als man irgendwelche Dienste aus dem Boden hämmerte, die kein Mensch brauchte. Wie Mark Pohlmann schreibt: "Es ist traurig anzusehen, wie die Kuh schon wieder gemolken werden soll, obwohl sie noch ein Kälbchen ist." Denn so gut geht es den Web 2.0 Ideen schon länger nicht mehr. Bei Technorati wächst der "Deadpool" mit erstaunlicher Geschwindigkeit und selbst Dienste wie Browster scheinen sich nicht mehr am Markt durchsetzen zu können. In den Kommentaren liest am auffällig häufig, dass Web 2.0 Firmen zumindest in den USA sich schleunigst was einfallen lassen sollten, bevor ihnen die Geldgeber den Hahn zu drehen. Sollte Bill Gates am Ende Recht haben?

Der Denkfehler ist offenbar, dass viele Firmen und Konzerne glauben, dass man mit der richtigen Strategie und einer Werbekampagne eine Idee im Netz durch drücken kann. Dummerweise ist das Netz kein Supermarkt, Ideen keine neue Dosensuppe und das Leben im Netz kein "lifestyle convenience product". Es wundert nicht, dass es ausgerechnet die Verlage sind, die gerade etwas Neues versuchen. Sie haben am Niedergang der Musikindustrie gesehen, dass es wenig Sinn macht, sich gegen das Netz zu stellen und merken gleichzeitig, dass ihnen die Leser scharenweise weglaufen. Jetzt gibt es ein paar interessante Projekte, aber auch solche, die schon von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, weil einige Verlage im Netz den gleichen Fehler machen, den sie auch am Kiosk machen. Sie klonen Zeitungen, dünnen die Redaktionen aus, setzen statt Journalisten ein paar Praktikanten hin und schaffen immer mehr Produkte, die sich äußerlich immer mehr gleichen und im Inneren immer leerer werden. Am Ende will den Schrott keiner mehr haben, weil man sich fälschlicherweise die Frage gestellt hat: "Was sagt denn die Marktforschung?" und nicht "Was interessiert mich?"

Aber vielleicht ist das eine der großen Lehren, die Web 2.0 mitgebracht hat. Dass man erkennt, dass bestimmte Produkte innerlich so tot sind und ihr Leichnam schon meilenweit stinkt. Dazu zählen (leider) Lokalzeitungen, die man in den letzten 20 Jahren bis zur kurz vor die Arbeitsunfähigkeit zusammen gekürzt hat und demnächst vermutlich vor allem in ländlichen Gebieten durch Hyperlocal Angebote endgültig ersetzt werden. Dazu zählen formatierte Magazine, die an Langeweile nicht zu überbieten sind und auch das Formatradio, dass zu seiner eigenen Überraschung neulich festgestellt hat, dass es keine Hörer mehr hat. Das schöne also ist, dass der Markt derartig zersplittert, aufgebrochen und kaputt ist, dass man eigentlich wirklich keine andere Wahl mehr hat als sich die Frage zu stellen: "Was würde ich denn mal gerne lesen oder sehen? Welches Gadget vermisse ich im Netz?" Der Erfolg von Blogs, der Erfolg von Diensten wie "Last FM" zeigt es deutlich: Das Denken muss sich ändern. Neue Produkte sollten nicht mehr hierarchisch oder technokratisch angegangen werden, sondern egoistisch.