Beim Spiegel ist (schnell lesen bevor es im kostenpflichtigen Archiv verschwindet) ein Interview mit Leon de Winter zu lesen. Dieser ist, neben seiner Tätigkeit als Autor, vor allem nach dem Mord an Theo van Gogh im letzten Jahr mit der Warnung an die Öffentlichkeit getreten, dass der Fundamentalismus die demokratischen Grundfesten des westlichen Zivilisation zerstört. Damit hat der Mann nicht so ganz Unrecht, wenn man sich anschaut, welche Maßnahmen verschiedene Regierungen seit dem 11.9.2001 getroffen haben, um die Bürger „zu schützen“, aber ich glaube, der meint das anders. Denn im Interview gibt es neben einer Menge Quatsch auch etliches hanebüchenes über die Todesstrafe und untergehende Zivilisationen zu lesen. Wirklich überrascht hat mich der letzte Satz, den der Interviewer Henryk M. Broder wahrscheinlich nicht ohne Grund da hingestellt hat. Leon de Winter sagt „Nach dem linken Faschismus der Sowjets, nach dem rechten Faschismus der Nazis, ist der Islamismus der Faschismus des 21. Jahrhunderts.“

Man kann jetzt darüber streiten, ob de Winters Verständnis der Geschichte korrekt ist, oder sein philosophischen Wissen über den Faschismus. Vielleicht sollte man de Winter mal erklären, dass der Faschismus eine Herrschaftsform ist, auch wenn der Begriff in den 60er und 70er Jahren auf alles erweitert wurde, was in seiner Grundhaltung antidemokratisch ist. Ob der Begriff aber so anwendbar ist, darüber streiten sich die Gelehrten noch heute. Auf gar keinen Fall kann man den Faschismus aber mit dem islamischen Fundamentalismus in einen Topf werfen, weswegen es bisher auch noch kein Historiker, Philosoph, Theologe oder Politikwissenschaftler gemacht hat. Aber ich habe das Gefühl, dass sowohl Leon de Winter, als auch sein erstaunlich kritikfreier Interviewer das ganz gut wissen. Offenbar geht es um was anderes.

Da wird eine scheußliche Assoziationskette aus Erinnerungen aufgebaut. In etwa: Faschismus war böse, böse, böse, brachte Leute um und man wusste gar so recht nicht wieso. Dann Krieg und alles noch schlimmer. Und jetzt geht alles wieder von vorne los, wir haben es nur noch nicht gemerkt, denn die Fundamentalisten bringen Leute um, und man weiß gar nicht so recht wieso. Zusätzlich geben sie diesmal nicht mit zackigen Uniformen zu erkennen, sondern sie sind im geheimen unter uns. Quasi: der freundliche arabische Gemüsemensch, der mir täglich die Paprika eintütet plant heimlich, mich mit einer Nagelbombe in die Luft zu jagen. Und alle arabischen Gemüsehändler sind organisiert und warten nur darauf, ihren Fundamentalismus in unserem schönen Europa zu installieren.

Was Broder und de Winter da betreiben, ist simple Panikmache. Und wenn ich mich dann in diesem Zusammenhang dann auch mal so weit aus dem Fenster lehnen darf, faschistische Panikmache. Wir sollten Terroristen die Todesstrafe aussprechen, damit sie wissen, dass mit uns nicht gut Kirschen essen? (Hat die Todesstrafe in den USA auch nur einen davon abgehalten, einen Mord zu begehen?) Wir sollen dem arabischen Gemüsehändler grundsätzlich misstrauen, weil er einer „von denen“ sein könnte? Wir sollen einen kooperativen Staat erbauen, in dem sich alles der Terrorismusvermeidung unterordnet? Wir brauchen einen starken Staat, der die Grundrechte der Demokratie aushebelt, damit nicht die islamischen Fundamentalisten kommen, um die Grundrechte der Demokratie auszuhebeln?

Ich mach da nicht mit. Ich werde weiterhin nicht denken, dass jeder Anhänger des Islam ein potentieller Bombenleger ist. Ich werde weiterhin die zunehmenden Überwachungssysteme ablehnen. Wenn eine U-Bahn in Berlin in die Luft gejagt wird, werde ich das machen, was die Briten am nächsten Tag gemacht haben: erst recht U-Bahn fahren. Ich werde weiterhin gerne mit dem Problem leben, dass unser Rechtssystem keinen Unterschied zwischen einem Mörder und einem Terroristen macht, der Menschen umgebracht hat, weil ich glaube, dass nicht um den Terroristen, sondern um die Ermordeten geht und des weiteren nicht auch noch so blöd sein will, mir eine Ladung Märtyrer selber zu schaffen, in dem ich einen Fundamentalisten vor die Wand stelle, was der ja erwartet. Lieber lasse ich einen Terroristen der mit der europäischen Lebensweise ein Problem hat, im Gefängnis unter der europäischen Lebensweise sein Leben verbringen. Ich werde weiter daran glauben, dass man galoppierenden Irrsinn, wie Bomben legen oder solche Interviews geben nur mit einer Sache bekämpfen ist: in dem ich das Leben lebe, dass mir wichtig ist, und mich weder einschüchtern noch per Populismus manipulieren lasse. Herr de Winter und Herr Broder sollen ruhig weiter vom Kulturkampf und neuen Kreuzzügen träumen. Vielleicht schlafen sie dabei sanft ein und halten endlich den Mund.

P.S.: Ach ja, Herr de Winter und Herr Broder

SPIEGEL ONLINE: Vor ein paar Jahren hofften wir auf ein "Ende der Geschichte", wie es uns Francis Fukuyama versprochen hatte, jetzt erleben wird, dass die Geschichte eine Wundertüte voll hässlicher Überraschungen ist.

De Winter: Es war ein Traum, ein wunderbarer Traum. Er dauerte vom Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa bis zum Einsturz der Twin Towers. Es waren zwölf herrliche Jahre, die besten des 20. Jahrhunderts.

Lesen Sie diese Passage doch mal ein paar Leuten aus dem ehemaligen Jugoslawien vor. Die werden sich freuen. Vielleicht sollten Sie beide doch noch mal ihren Wahrnehmungshorizont neu justieren.