Das ist schon komisch. Vor sechs Jahren standen die Berliner vor dem Brandenburger Tor und feierten Gerhard Schröder, der sich gegen den Kriegskurs von Bush jr. gewandt hatte. Zu zehntausenden verdammte man die USA und ihre Kriegspolitik. 2008 stehen rund 200.000 Berliner (laut Presseberichten - es gibt auch Quellen, die von "mehr als 100.000" sprechen) vor der Siegessäule und feiern einen Mann, der nicht mal Präsident ist. Nicht mal ein offizieller Kandidat, denn der Parteikongress, auf dem das alles bestimmt wird, ist erst Ende August. Wie auch immer: da waren ziemlich viele Menschen, die ihre Hoffnung zu Obama getragen haben.

Amerika - das ist der große Bruder. So habe ich es seit der Schule immer wieder gehört. Amerika hat die Nazis vertrieben, die Schokolade gebracht, den Rock'n roll und Coca Cola. Sie haben Menschen zum Mond geschossen, sie haben ziemlich viele Dinge erfunden die irgendwie wichtig sind und die letzten 60 Jahre unseres Filmgeschmacks bestimmt. Aber dann gibt es dann noch diese Mr. Hyde Seite. Reagan und Bush jr. sind zwei schöne Beispiele. Manchmal hat man sich gewundert, was die Amis denn jetzt schon wieder treiben, aber im Grunde war das eben so ein Aufstöhnen, wenn ein Familienmitglied mal wieder ernsthaft rumspinnt. Man ist mal kurz sauer, aber irgendwann ist alles wieder gut, und dann freut man sich heimlich.

Bush hat die Mr. Hyde Seite so lange und so oft rausgehangen, dass es schwer wurde zu verzeihen. Der vermutlich unnötige Irak-Krieg, Guantanamo, die Umweltsache - alles Dinge, die bei den meisten US-freundlichen Deutschen auf mittelschweres Unverständnis stießen. Totaler Liebesentzug war die Folge, denn plötzlich erschien der freundliche, große Bruder als ein durchgedrehter Speed Junkie, der außer Kontrolle war. Und dann auch noch die letzte Wahl 2004, als ein völlig versnobter John Kerry antrat, der so unsympathisch war, dass man die Hemdsärmeligkeit von Bush auf seiner Farm schon fast wieder mochte. Trotzdem - der Liebesentzug blieb erst mal.

Aber wie das mit dem Liebesentzug halt so ist. Irgendwann schmerzt er einen selber auch. Man macht das ja irgendwie gegen seinen Willen und mit Wehmut denkt man zurück an die besseren Zeiten in der Familie, als alle noch an einem Tisch saßen. Und jetzt also Barack Obama. Ich bin mir gar nicht mal sicher, ob die Berliner nicht auch zu Frau Clinton gelaufen wären. Denn im Grunde mag es vielen offenbar egal sein, welcher Demokrat denn am Ende zur Wahl antritt. Vermutlich hätte es sogar ein Republikaner sein können, jetzt nicht unbedingt Schwarzenegger, aber halt so einer aus dem linken Flügel der Partei. Hauptsache einer, der zeigt, dass der große Bruder von seinem Trip der letzten Jahren runter ist. Hauptsache, dass einer kommt, und die Fehler eingesteht. Hauptsache, man kann die aufgesparte Zuneigung wieder ein Stück rauslassen.

Ich glaube, dass deswegen 200.000 Menschen gestern da waren. Weil man hofft, dass mit einem Präsidenten Obama jemand kommt, der Schluss macht mit dem Gebrüll der letzten Jahre, der die Dinge beendet, Guantanomo auflöst, dem Irak eine Zukunft gibt, die völlig durchgeknallten Finanzmärkte an die Kandarre nimmt und wenn er grad dabei ist vielleicht Homeland Security mit dazu. Einer, wie Bill Clinton und Al Gore, die vermeintlich für das Amerika stehen, das man so gerne hätte. Weltoffen, halbwegs friedlich, diplomatisch, gastfreundlich, hoffnungsvoll. Mir kommt es fast vor, als würden die Deutschen darauf warten, dass Obama zum Präsidenten gewählt wird um endlich aufatmen zu können, weil der große Bruder zur Familie heimgekehrt ist und man den ärgerlichen Liebesentzug beenden kann.

Wenn man sich da mal nicht täuscht.

Ich hab so ein bisschen die Befürchtung, dass man von Barack Obama ein wenig zu viel erwartet. Das sich McCain und Obama in vielen Dingen (Gleichgeschlechtliche Ehen, Todesstrafe, Budgetkürzungen etc.) erstaunlich ähnlich sind (man will da nichts bis wenig ändern) wird ebenso erstaunlich oft und gerne übersehen. Vielleicht ist das so, weil McCain für das alte, hässliche Amerika steht. Das mit dem Vietnamkrieg, dem wirtschaftlichen Niedergang der 80er Jahre, der Bush Familie, während Obama eher das Amerika der 90er Jahre repräsentiert. Weil McCain scheinbar die Politik repräsentiert, gegen die man in den 80er und den letzten Jahre auf die Strasse gegangen ist, während Obama die Verfehlungen der letzten 30 Jahre nicht anhaften und er ins 21. Jahrhundert schaut. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Hoffnung auf all die Dinge am Ende halt nur auf den Aussagen beruht, die man halt so macht, wenn man im Wahlkampf ist. Und selbst wenn er alles so meint, wie er es sagt: Obama ist noch lange nicht gewählt. Vermutlich hat er sich heute gefragt, warum man nach dem Krieg die Deutschen nicht einfach eingemeindet hat, damit die auch wählen können, denn in den USA hat er noch keine 200.000 Leute zusammen bekommen, die seine Rede hören wollten.

Denn während Obama durch die Weltgeschichte gondelt, macht McCain in den USA ganz unten Wahlkampf. Er geht von Haus zu Haus, in Kneipen und Restaurants. Dafür mögen sich die Medien nicht interessieren, die Wähler in den USA aber schon. In den Umfragen sieht es zwischen beiden mehr als eng aus und der richtige, der schmutzige Wahlkampf hat noch nicht mal begonnen.

Wer sich für die Unterschiede zwischen McCain und Barack Obama interesiert, hier ein paar Links. Man wird viel lesen müssen.

Wikipedia en.wikipedia.org (Obama) en.wikipedia.org (McCain)

ontheissues.org (Seite nicht mehr ganz taufrisch)

obama-mccain.info (Keine Ahnung, wer dahinter steckt. Whois sagt es ist ein Privatmensch, aber man weiß ja nie, wofür der nun wieder steht. Ist aber die einzige Seite die ich gefunden habe, auf der die Argumente direkt gegenüber stehen)