Als die Tempo 86 raus kam, war sie eigentlich zwei Jahre zu spät zu dran. Das ganze Heft hechelte am Anfang der neuen "Spaßgeneration" hinterher, die lieber Karriere machte, als Spontisprüche zu sammeln. Das, was Anfang der 80er noch "Popper" hieß, hatte sich überraschend als kaufkräftige Zielgruppe etabliert und man traf sich in neonbeleuchteten Cafés und nippte an neonglühenden Drinks. Eine Magazin gab es für diese Zielgruppe allerdings nicht, bis die "Tempo" kam. In den ersten Ausgaben machte die "Tempo" dann folgerichtig den Eindruck, als sei sie ein Magazin, dass den philosophischen Unterbau für die oft noch unsicher rumstapfenden Neon-Popper liefern wollte. Die frühen 80er Jahre tropften geradezu aus der Zeitung heraus und sie war ein bisschen überambitioniert. Wie man halt so ist, wenn man unsicher aber laut den Beginn einer neuen Zeit proklamiert. Aber damit stand sie in der Zeit ja nicht alleine da. Einerseits wollte man das geleckte Yuppietum der 80er Jahre (auch ziemlich gut festgehalten in Oliver Stones Film "Wall Street" der nicht zufällig ein Jahr nach der "Tempo" erschien) nach Deutschland bringen, und andererseits wurde der Feind in Form des langweiligen Spät-Hippietums klar definiert. Tatsächlich, man mag es heute kaum mehr glauben, war es damals so, dass man mit dem Kauf der "Tempo" ein Statement abgab. Ein Teil des Freundeskreis blätterte interessiert drin herum, während der andere Teil das Magazin als "Yuppie Popper Postille" abtat und einen mit Blicken traktierte, die deutlich darauf schließen ließen, dass man zur nächsten Party nicht mehr eingeladen werden würde.

Ich fühlte mich jedenfalls in und mit der "Tempo" wohl und eine zeitlang gab sie einem ein Gefühl, was Journalismus sein konnte. Subjektiv, oberflächlich, aber auch zornig und offener als das, was man sonst aus den anderen Magazinen kannte. Dazu kam die angewandte Lebensberatung, und der 80er Jahre Cappuccino Bohemismus, der, glaube ich zumindest für Deutschland, eine alleinige Entdeckung der "Tempo" war.

Aber mit der Zeit verlor die Zeitung an Schwung, die Entdeckungen, die man mit dem Magazin machte, wurden immer weniger und zudem tauchten plötzlich am Horizont Magazine wie die "Frontpage" auf, die viel radikaler in Design und Lebenshaltung waren. Naja - radikaler, sind wir ehrlich und sagen verdrogter. Dagegen wirkte die "Tempo" oft wie ein Blatt für angehende Alt-Philologen. Das Leben hatte sich weiterbewegt, aber die "Tempo" blieb sich lange treu und transportierte verbissen weiter dieses 80er Jahre Ding. Sei cool, nimm ein paar coole Drogen, sei erfolgreich, aber vergiss nicht, dass das Leben auch scheiße sein kann. Als man ihr überraschend 1996 den Gnadenstoss versetzte, war ich wenig verblüfft, und im Grunde war es mir egal. Es wird schon was Neues kommen, etwas, was wie die "Tempo" oder die "Frontpage" einen mitreißt.

(Kurzer Einschub: Darauf warte ich allerdings bis heute. Die "Dummy" hat mich eine zeitlang begeistert, und ich hatte bei ihr das Gefühl, dass ich auch damals bei der "Tempo" hatte, aber dann kam die Ausgabe "Sex" und ich musste erkennen, dass die Herangehensweise des Redaktionsteams von einer erstaunlichen Spießigkeit geprägt war, einer konservativen Einstellung, die mich nicht interessierte. Danach kaufte ich die "Dummy" nicht mehr, weil ich kein Magazin lesen will, dass im Grunde der verlängerte Arm des "FAZ" Feuilleton ist. )

Als ich hörte, dass man die "Tempo" wieder auflegt, dachte ich nur "Warum?". Warum will man was sehr totes, das aus gutem Grund einen schnellen, schmerzlosen Tod gestorben ist, noch mal wiederbeleben? Der einzige Grund, der mir einfiel war der, dass man vielleicht wie 1986 versuchen wollte, was heutzutage im Printjournalismus noch geht. Und deswegen habe ich mir die "Tempo" heute auch gekauft, obwohl ich schon das Titelbild abschreckend fand. Eine rauchende Kate Moss - gähn. Dazu die Headline "Endlich die Wahrheit" - doppel gähn. Aber da ahnte ich zumindest, was auf mich zukommt und leider hat sich meine Ahnung bewahrheitet. Eine meist langweilige Reminiszenz an die 80er Jahre und der Versuch, den Journalismus dieser Zeit zurück zu holen. Letzteres ist ein vielleicht überflüssiges Unterfangen, aber, dass muss man Chefredakteur Marcus Peichl lassen, es ist immer noch tausendmal besser als das, was 99% aller anderen Magazine heute zu leiste im Stande sind.

Aber der Inhalt...

  • Der 10 Jahres Rückblick. Überflüssig. Seit wann schaut die "Tempo" zurück?
  • Die Gewinner / Verlierer Liste. Überflüssig. Quälender Seitenfüller ohne Humor
  • Der Test "Wie rechts ist Deutschland". "Tempo" schreibt ein paar Promis, bietet eine Ehrendoktorwürde einer erfundenen Akademie an und versteckt in deren Grundsätzen ein paar Zitate aus "Mein Kampf". RTL Niveau.
  • Artikel über Kate Moss. Kann man machen
  • Bryan Adams fotografiert Lukas Podolski. Gute Idee.
  • Ghettos in Europa. Gute Idee
  • Wowereit Lobhudelung. Gähn. Es gibt nun wirklich drängendere Themen als Wowi.
  • Globalisierungsgegner und Fondsmanager wechseln die Jobs. Naja, aber irgendwie nah dran am „Frauentausch“ bei RTL II.
  • Bericht über den schnellen Sex durch Kontaktbörsen. Wie oft gab so was schon in der GQ? Der Petra?
  • Story über den Rausch. Wirklich gut.
  • "Neon" Bashing auf Seite 198. Danach ein "Neon" artiger Bericht in dem ein Pfarrer berichtet, was die Leute so in der Beichte von sich geben.

Und dann

  • Grönemeyer trifft Tokio Hotel.

Der Artikel und die Idee so was zu machen sagt alles über das Gott sei Dank einmalige Comeback der "Tempo" aus. Da wäre ja "Kunze trifft Biedermann" oder "Lindenberg trifft Sido" noch besser gewesen. Damit beende ich die Inhaltsangabe und klappe die "Tempo" zu. Denn viel folgt nicht mehr, außer einer guten Geschichte von Zaimoglu.

Ich persönlich finde das einmalige Comeback mehr als enttäuschend. Ich habe die "Tempo" immer als Blatt verstanden, dass es sichauch zur Aufgabe gestellt hatte, dem Journalismus und auch dem Leser ein neues Verständnis von Journalismus zu vermitteln. Und davon ist die diese Ausgabe weit, weit entfernt. Neue Formen des Journalismus? Nix? Neue Medien? Gar nichts. Nur die langweilige, elend langweilige Bauchnabelschau einiger großer Namen. Man lässt Kai Diekmann seinen Alltag mit einem Photohandy schildern und Grönemeyer trifft Tokio Hotel. Das sind die Koordinaten der „Tempo“.

Würde die im Heft abgedruckte Werbung nicht dauernd der "Tempo" gratulieren, man würde schnell vergessen, was man da eigentlich liest. Könnte die etwas aufwendig Ausgabe irgendeiner Hochglanzzeitung, zum Beispiel der im gleichen Verlag erscheinenden "Prinz" sein. Es ist aber auch völlig egal. Die "Tempo" ist seit mindestens zehn Jahren tot und das riecht man auch.