Karate Kid I

Meine erste Prügelei hatte ich in der Grundschule. Gegner war aus dem Senegal stammender Mitschüler, der einen Kopf größer war und vor allem deutlich stärker. Nach wenigen Sekunden hatte er mich im Schwitzkasten und ließ auch nicht mehr los. Das war eine eher ungemütliche Position und ich wurde extrem sauer, konnte aber wenig machen, außer vor Wut zu weinen, was bei meinem Mitschülern nicht besonders gut ankam, da die dachten ich würde weinen, weil ich eben weinen müsse. Das Gelächter war groß und das machte mich noch wütender, zumal ich nicht gerade in der Position war, den anderen langatmig zu erklären, dass ich nicht aus Schmerz, sondern aus Wut weinen würde. Ich wurde über die ganze Situation so wütend, dass ich es schaffte mich aufzurichten und meinen Gegner auf den Rücken warf. Jedenfalls dachte ich in dem Moment, dass ich das könnte, im Endeffekt landete ich auf dem Rücken, der Mitschüler auf mir, der mich zu allem Überfluss jetzt auch nur noch mit einer Hand festhielt und mir mit der anderen Kopfnüsse verpasste. Es dauerte fast ein ganzes Schuljahr bis ich meinen Ruf als Heulsuse loswurde. Erst nachdem ich jemanden aus der vierten Klasse ein schmeichelhaftes Remis im wahrsten Sinne des Wortes abgerungen hatte, wurde es etwas besser.

Überhaupt hatte ich mir das mit den Prügeleien durchaus anders vorgestellt. Zu meiner bevorzugten Fernsehunterhaltung gehörten eindeutig Western, und in denen war es nun so, dass der Held jemanden in den Bauch haute, dieser drei Meter zurück geschleudert wurde und sich vor Schmerzen auf dem Boden wand. Wenn ich jemanden in den Bauch gehauen habe passierte nichts, außer dass ich eins in die Fresse bekam oder ebenfalls in den Bauch gehauen wurde, was mich komischerweise offenbar mehr beeindruckte als meinen Gegner. Mein Kampfrekord nach der Grundschule stand dann bei 0 Siegen, 1 Unentschieden, 1 Niederlage.

Nach einem Jahr Realschule sah das deutlich anders aus. Zum Ende der fünften Klasse hieß es: 0 Siege, 1 Unentschieden, 4 Niederlagen. Jede Klasse hatte den notorischen Klassenschlägern, der meist stärker oder skrupelloser oder beides war. Unser Schläger hieß Peter und arbeitete damals schon auf dem Hof seiner Eltern. Das war gemein, denn während ich Reitstunden bzw. Fechtunterricht nahm und nebenbei anfing Schach zu spielen, konnte Peter den ganzen Tag tonnenschwere Heuballen und anderen Krempel schleppen. Außerdem war er einmal sitzen geblieben, somit mindestens ein Jahr weiterentwickelt, und man hatte ihn gerüchteweise auf der Kirmes gesehen, wie mit den Typen abhing, die schon ein Mofa hatten. Quasi ein Schwerverbrecher. Peter reagierte die Klasse nach einem ausgeklügelten System. Erst in die Fresse, dann noch mal nach treten und, damit das Opfer die Abreibung auch wirklich nicht vergisst, nach fünf Minuten perfide noch mal kurz verprügeln. Das was Peter wirklich gemein machte, weswegen alle vor ihm Angst hatten, war seine Angewohnheit jemand, der am Boden lag, noch mal zu treten. Das war damals ein absolutes Unding. Wenn jemand lag, hielt man ihn allerhöchstens unten fest, aber stand nicht auf und trat ihm in den Bauch. Peter verprügelte mich zweimal, das dritte Mal war es irgendeiner an der Bushaltestelle, der mir erst seinen Ranzen und dann sich ins Gesicht warf.

Mit Beginn der sechsten Klasse beschloss ich, dass es nun mit dem Verprügeln reichen würde. Ich hatte keine Lust mehr Angst zu haben und außerdem hatte ich den ganzen Sommer sämtliche Kung-Fu Tricks aus der gleichnamigen TV Serie sorgsam studiert und heimlich geübt. Ich war also gewappnet und fühlte mich sehr, sehr stark. Denn gegen meine Kung Fu Tricks konnte dieser ungebildete Bauernsohn nichts ausrichten, denn mit Kraft alleine kann man kein Kung Fu besiegen, soviel war ja mal klar. Gleich am zweiten Schultag, in irgendeiner Pause kam Peter zusammen mit seiner Gang auf mich zu. Ich machte mich bereit, spannte meine Muskeln, hob dass Kinn, machte die Schultern breit und schaute ihm so gefährlich wie möglich in die Augen. Ich konzentrierte mich völlig auf ihn, alles um mich herum wurde ausgeblendet, fand nicht mehr statt, es war nur dieser schmaler werdende Raum zwischen ihm und mir und ich war bereit ihm seine Grenzen schmerzhaft aufzuzeigen. Er mochte den Sommer über Heuballen geschleppt haben, ich hatte die geheimnisvollen Kung Fu Tricks auf Lager. Zehn Sekunden später haute er mir in die Fresse und ich konnte mich nicht wehren, weil ich vor lauter Konzentration und Ausblendung meiner Umgebung nicht mitbekommen hatte, dass einer seiner Kumpels hinter mich getreten war und meine Arme festhielt, bevor ich überhaupt etwas machen konnte. Peter haute also zu, dann ließen die Kumpel mich los und Peter schritt weiter über den Schulhof um überall die Hackordnung wieder herzustellen. Offenbar hatte er sich über den Sommer darüber Gedanken gemacht, wie er sein Einschüchterungssystem effizienter gestalten konnte, also mehr Haue in der gleichen Zeit. Was ihm zu der Idee geführt haben muss, sich Helfer zu besorgen, die die lästige Gegenwehr im Keim erstickten. Ich war die erste Testperson dieser neuen Technik.

Ich landete wie ein nasser Sack auf dem Hosenboden und dann fehlen mir ein paar Sekunden. Das nächste an das ich mich erinnere, sind die Arme eines Lehrers, der mich von Peter runterziehen und die völlig fassungslosen Gesichter seiner Freunde, die gar nicht begreifen, was da gerade passiert war. Ich wusste das auch nicht, aber man berichtete mir, dass ich wie ein Irrer hinter Peter her gelaufen sei und dieser lachend vor mir gestanden habe und ich ihm völlig Un-Kung-Fu-mäßig einen eingesprungenen Haken ans Kinn gesetzt hätte um dann dem fallenden Peter völlig von Sinnen hinterher zu prügeln, bis mich ein Lehrer von ihm runter zog. Danach hatte ich zwei Probleme: zum einen musste ich zum Direktor, zum anderen raunte mir in der nächsten Pause einer aus Peters Gang im Bus zu, dass ich nun "sehr aufpassen" müsse, denn schließlich wisse man ja, an welcher Haltestelle ich aussteigen würde. Haltestellen waren damals quasi die IP Adresse von Heranwachsenden.

wird fortgesetzt