Donnerstag, 12. Januar 2006

Eine eher auf der Habenseite zu verzeichnende Idee der Evolution ist ja der Vorteil dieser paar Gene, die uns von Schimpansen und anderem Gewürm unterscheidet. Daraus abgeleitet ergibt sich theoretisch die Tatsache, dass wir uns durch unser hoch entwickeltes Gehirn erlauben können zu entscheiden, mit wem wir fratanisieren wollen, und mit wem nicht. So eine Entscheidung kann ganz schön in die Hose gehen, wie zum Beispiel Julius Cäsar mal feststellen konnte.

Die moderne Zivilisation hat dann dafür gesorgt, dass wir mit der Verbrüderungsentscheidung nicht allzu oft konfrontiert werden, und wir uns zu Hause alleine schön einem gepflegten Cocooning hingeben können. Spätestens seit der Erfindung des Internets sind dem Cocooning keine Grenzen mehr gesetzt. Menschen, die früher zähneknirschend ihre Behausung verlassen mussten, weil sie Arbeit, Brot und nackte Frauen brauchten sind nun endlich befreit. Auch Menschen, die schon in der ersten Klasse zu den Leuten gehörten, mit denen keiner gesprochen hat, können nun voller Inbrunst behaupten, sie hätten ein weltumspannendes Netzwerk aus Freunden. Jedenfalls so lange, wie sie sich mit niemand treffen müssen.

Eine große Mehrheit der westlichen Zivilisation hat sich an diese Art des Lebens gewöhnt, und mittlerweile sucht man sogar seine Beischlafpartner danach aus, was sie so schreiben. Hat man genug gelesen, steht einem sofortigen Geschlechtsverkehr eigentlich nichts mehr im Weg, man kennt sich ja. Quasi. So kann man ganz bequem und sehr zielgerichtet die Wohnung verlassen und muss nicht dauernd auf Partys mit Leuten rumhängen, die man sowieso nicht leiden kann. Dummerweise neigen aber manche Errungenschaften der modernen Zivilisation dazu, alte, sehr tief verankerte Verhaltensmuster wieder ans Tageslicht zu bringen.

So kommt man auf die mitunter fatale Idee, eine vermeintlich geschlossene Benutzergruppe, die nach Jahren der intensiven Beobachtung es geschafft hat durch den Raster "könnte man mal kennen lernen, also so richtig" zu kommen, am Ende dann doch zu treffen. Soziale Begegnungsstätten wie Blogs oder Foren machen uns deswegen ganz verrückt im Kopf, weil da so viele Menschen sind, die man erstmal sortieren muss. Das ist man nicht mehr gewöhnt, zumal sich bei ICQ die Leute auch noch bequem wegklicken und bannen lassen. Das geht in richtigen Leben nur so mittel und so kann es schnell zu verletzenden Überreaktionen kommen, wenn man überfordert ist. ("Fotografier mich nicht, du Sau." "Dich werf ich von meiner Blogroll." "Ich dachte, Du seist dünner."). So gibt es bei Blogtreffen dann meist auch nur zwei Gruppen Menschen.

Nummer Eins: Redet mit allen, trinkt viel, geht spät, schreibt später drüber, wie toll es war Nummer Zwei: Redet mit keinem, trinkt nichts, geht früh, schreibt später drüber: Entweder wie toll es hätte sein können, wenn nicht so viele Leute da gewesen wären, oder dass man dieses ganze Blogding mit seiner ach so tollen Community sowieso nicht leiden kann.

Aber vielleicht sind diese Einrichtungen zum einen ja erstmal dazu da, das verloren gegangene Modell einer Großfamilie zu ersetzen. Zum anderen vielleicht auch, um abhanden gekommene soziale Kompetenzen neu zu erlernen. Zum Beispiel

  • Nicht alle Leute sind scheisse.
  • Manche Leute sind so, andere so.
  • Ich muss nicht mit jedem reden, nur weil er mich aufregt. .
  • Wenn jemand Pickel hat, kann man das nicht weg photoshoppen.

Die Verzweiflung über diese und andere Punkte kann man auf vielen Bloggertreffen beobachten. Und je größer ein Treffen ist, desto größer ist auch die Chance dort auf Menschen zu treffen, die ihren sozialen Schock auch danach schriftlich freien Lauf lassen. Aber deswegen mögen wir es ja, das bloggen.

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