Donnerstag, 17. November 2005

Wilmersdorf. Irgendwo da mittendrin. Ich komme an einer kleinen Schule vorbei, offenbar eine Sonderschule, wie ich gleich lerne, denn aus der Schule strömen ein paar Trisomie 21 Kinder vorbei, die mich mit ihrem seligen Lachen in den kleinen Gesichtern sofort und immer tief berühren. Alles strömt auf ein halbes Dutzend Kleinbusse des Malterhilfsdienst zu, deren Fahrer versuchen, die aufgedrehte Kinderschar einzufangen und vor allem zu sortieren, was nicht ganz leicht zu sein scheint. Um einen Überblick zu bekommen, rufen einzelne Fahrer die Namen der Fahrgäste, was zu weiteren Verwirrungen führt, da es mehrere Stefanie, Marco und Thorsten zu geben scheint. Während die Fahrer hinter der Kindermeute her hetzen, die schwieriger zu bändigen scheint, als ein Rudel junger Hunde, wächst in mir Verdacht, dass die Kinder den ganzen Aufruhr mit purer Absicht und Spaß an Freud veranstalten. Das schelmische Grinsen einiger spricht da Bände.

Irgendwann hat zumindest ein Fahrer seine Ladung zusammen und in den Kleinbus bekommen, ist aber noch nicht los gefahren, da er seinen Kollegen noch beim Sortieren hilft. Immer noch geht es draußen zu wie auf einem indischen Bahnhof zur Rushhour. Als ich am Bus vorbei gehe, spricht mich ein Mädchen an:

Mädchen: "Kommst Du mit?" Ich: "Ne, ich darf nicht mitfahren, ich geh doch nicht mehr in der Schule" Mädchen: "Aber Jens [damit muss der Fahrer des Kleinbusses sein], kommt doch auch immer mit." Ich: Ja, der fährt Euch ja auch nach Hause. Mädchen: "Fahr Du uns doch mal." Ich: "Ne, ich darf nicht so ein Auto fahren. Das darf nur Jens." Mädchen: "..."

Dann mischt sich ein Junge ein, dem offensichtlich beide Arme fehlen: Junge: "Der soll auch nicht fahren. Jens soll fahren" Mädchen: "Warum denn, der ist doch nett" Junge: "Aber der hat doch gesagt, das er nicht darf." Mädchen: "Aber der ist nett" Junge: "Ne, der ist blöd"

Weitere Insassen des Busses mischen sich ein. Es wird kurz diskutiert, ob ich a) doof sei, b) fahren kann, c) überhaupt weiß, wo alle wohnen. Der Junge bleibt standhaft und behauptet weiter, ich wäre doof. Andere behaupten zu meiner Beruhigung das Gegenteil. Dann wird es plötzlich ruhig und der Junge sagt noch mal leise, dass er mich doof finden würde, worauf ihm das Mädchen antwortet: "Na und, und Du hast keine Arme." Stille. Lautes Gelächter und innerhalb von fünf Sekunden verfällt der gesamte Bus sehr fröhlich lachend in ein "Stefan hat keine Aaaaarme, Stefan hat keine Aaaaarme" Gesang. Stefan singt am lautesten, während das Mädchen mich mit einem begeisterten "Du auch!" zum mitsingen auffordert. Der Fahrer Jens rettet mich rechtzeitig, bevor die Wilmersdorfer Bevölkerung die Polizei ruft, weil da ein Mann mit grauen Haaren auf dem Bürgersteig vor einem Bus voller behinderter Kinder steht und "Stefan hat keine Aaaaarme" singt.

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