Die erste Wohnung, die man alleine bezieht, ist immer etwas besonderes. Endlich schafft man es, aus seinem Kinderzimmer auszuziehen, das mit leichtabwaschbaren Pressspanmöbel voll gestellt ist, und die mit den ersten kreativen Malversuchen aus knapp zwei Jahrzehnten verziert waren. Das ist natürlich irgendwann peinlich und außerdem will man ja endlich selbstständig sein. Nachts lange aufbleiben, ohne das die Eltern einen ermahnen, dass "es nun aber genug ist, morgen ist ja auch noch ein Tag" oder die kleine Schwester gerade dann reinplatzt, wenn es nach stundenlanger, mühsamer Kleinstarbeit es endlich geschafft, drei Finger unter die unfassbar enge Jeans der Freundin zu bugsieren, die währenddessen gelangweilt die Kinderzeichnungen studierte. Ein Auszug zu Hause bedeutet also Freiheit, endlich Eigenverantwortung, tolle Nachbarn, wilde Partys die ganze Nacht und keine kleine Schwester mit Benjamin Blümchen Kassetten. Törrrröööö.

Meine allererste Wohnung war in Bonn, in der Argelanderstrasse. Ich war stolz wie sonst was, als es mir gelang, den Wohnungsverwalter von meiner Geschäftsfähigkeit zu überzeugen. Der Wohnungsverwalter seinerseits muss sehr froh gewesen sein, dass er jemanden gefunden hatte, der keine Ahnung von einem Mietspiegel hatte und dachte, dass 350 Mark kalt für eine 12qm Wohnung mit Dachschrägen, einem winzigen Fenster, keinem Balkon, Badezimmer und Toiletten auf den Zwischenetagen, an einer der meist befahrenen Ausfallstrassen in Bonn ein super Angebot sei, für das man gerne eine Vermittlungsprovision bereit war zu zahlen. Das Zimmer war wirklich winzig und man konnte auf 6 der 12 qm aufrecht stehen. Ich bekam ein Bett, ein halbes "Ivar" Regal und einen winzigen Schreibtisch rein, an dem man sehr bequem saß, weil man sich beim arbeiten mit dem Kopf an die Dachschräge lehnen konnte. Ich war sehr glücklich. Jedenfalls acht Wochen lang.

In dieser Zeit verließ den Verwalter wohl die Geduld. Die anderen Zimmer im Haus wollten sich nicht vermieten lassen, was auch daran gelegen haben könnte, dass er für knapp 30qm rund 500 Mark haben wollte. Damals eine unfassbar hohe Miete. Der Verwalter hatte aber viel zu tun, also vermietete der die restlichen Zimmer an Freigänger einer Irrenanstalt und die eines Gefängnisses. So lernte ich zum einen "Werner" kennen und vor allem "Altöl".

Werner sah man eigentlich nie. Wenn man ihn mal durch einen Spalt seiner Tür erblicken konnte, dann sah man einen riesigen, unfassbar fetten Menschen, der offenbar den ganzen Tag in Unterhosen Marke Feinripp durch seine Wohnung flanierte. Viel eher konnte man seine Existenz aber Nachts ableiten, wenn er langanhaltende Schreianfälle bekam, oder etwas gegen die Wand warf und seine Tür eintrat. Danach war es dann immer etwas ruhiger, weil Werner wieder kurz in der Klinik war. Auseinandersetzungen mit Werner fanden nur per Brief statt. So beschwerte er sich regelmäßig bei allen anderen Mitbenutzern des Bades im dritten Stock, dass dies "sein" Bad sei, und wir gefälligst in das Bad im ersten Stock gehen sollten. Seine Schrift sah aus, als hätte man ihm während des Schreibens immer mal wieder unter Strom gesetzt und war deswegen etwas unleserlich, was ihm wohl auch klar war, weswegen er seinen Wunsch an die Mitbewohner mit einem in Druckschrift geschriebenen "Wek ihr Arschlöscher" ein wenig mehr Ausdruck verlieh. Als das immer noch nicht half und andere Menschen sein Bad benutzen, griff er dann zu einer, vor allem im Tierreich erfolgreich erprobten Maßnahme: er markierte sein Revier in dem er auf der Tür einen blutigen Handabdruck hinterließ und im Bad alles voll mit seinen feststofflichen Ausscheidungen beschmierte. Das kann man jetzt eklig finden, aber man muss doch sagen, dass er damit einen durchschlagenden Erfolg erzielte. Von dem er allerdings nicht lange zehren konnte, denn Werner verließ uns aber bald danach wieder und wurde noch selten gesehen.

Doch die Freude Werner und seinen nächtlichen, stundenlang andauernden Schreikrämpfe endlich los zu sein, währte nicht allzu lang, denn der Verwalter hatte für eine weitere, leerstehende Wohnung einen Herren aufgetan, dessen Klingelschild ihn als "Ältöl" identifizierte. Altöl war offenbar bekennender Hardrocker, rund 2 Meter groß, hatte dauernd 5 Leute in seiner Wohnung im Erdgeschoss die sich aus Spaß gegenseitig verprügelten und hörte gerne seine bevorzugte Musik in ohrenbetäubender Lautstärke. Da klopft man nicht so gerne an Tür und sagt "Hallo Herr Altöl, ich würde gerne schlafen, könnten sie das 'Napalm Death' Album etwas leiser hören?" Recherchen in der Bonner Kneipenszene brachten zudem zu Tage, dass Altöl gerade auf Bewährung raus war, nachdem er drei Jahre wegen schwerer Körperverletzung anderweitig einquartiert war. Gut, da lässt man ihm eben seinen Spaß und freut sich, dass man im obersten Stock wohnt, zu dem er das Bad nur vollpisste und nicht mit Kacke einschmierte. Das war doch schon mal ein echter Fortschritt.

Mittlerweile hatten mich echte Zweifel an der Wahl meiner Wohnung befallen. Sollte ich einen Fehler gemacht haben? Etwa vielleicht auch zuviel Geld bezahlen? Ach, man will doch auch keinen Ärger mit dem Vermieter, also mal lieber ruhig sein, dachte ich. Kurz. Dann passierten nacheinander ein paar merkwürdige Dinge. Mein Schlafrhythmus war dank Altöl eh schon ziemlich hinüber, als plötzlich das Zimmer neben mir, das nie vermietet werden sollte, weil es nur eine Art Zugangskammer zum Dach war, doch vermietet wurde. Ich weiß leider nicht an wen genau, aber es war eine Frau, soviel war sehr schnell sicher. Ihr Zimmer war nur durch eine dünne Holztür von meinem getrennt, und unsere Betten standen offenbar Kopf an Kopf. Jedenfalls erschrak ich eines Nachts sehr, als ich plötzlich von drüben der Satz gebrüllt wurde "Fick mein feines Döschen" Da war ich dann doch etwas überrascht, immerhin kannte ich die Frau nicht. Schnell stellte ich fest, dass jedoch nicht ich gemeint war, sondern ihr Liebhaber, ein Mensch ausländischer Herkunft, der, wenn ich ihn auf der Treppe auf dem Weg nach oben traf, immer ein wenig traurig schaute und mir irgendwie ein bisschen leid tat. Die Frau habe ich nie in meinem Leben gesehen, dennoch weiß ich bis heute, dass sie sehr, sehr gerne "ihr Döschen" gefickt sah, dass sie es mochte, wenn man ihre "Tittchen" fest anfasste und der Mann, rund eine Stunde später "die verdammte Sauerei" wegmachen sollte. Das weiß ich deswegen bis heute, weil sie es jede verdammte Nacht wollte.

Das war aber noch nicht der Tag, an dem ich auszog. Der kam dann später, als ich erst einen Brief des Vermieters bekam, in dem er ankündigte die Miete wegen hoher Instandsetzungskosten im Sanitärbereich um 30 Mark pro Monat zu erhöhen, meine Nachbarin herausgefunden hatte dass sie ihr Döschen mehrfach pro Nacht gegen Bares anderen Döschenliebhabern zur Verfügung stellen konnte, und Altöl den Kopf seiner Freundin durch die Milchglasscheibe des Bades (was hatten die nur immer alle gegen das Bad) gedrückt hatte, und diese eine meterlange Blutspur quer durchs ganze Haus gezogen hatte. Als diese wimmernd und blutüberströmt vor meiner Tür lag, Altöl mit drei Freunden dann fünf Minuten später meine Tür eintrat, mir drohte er würde mich „platt machen“, dann seine Freundin die vier Etagen nach unten prügelte und erst durch den Einsatz von einer rund 10 Polizisten ruhig gestellt werden konnte, dachte ich „Don, ich glaube, Du solltest einmal darüber nachdenken, Dir eine neue Wohnung zu suchen.“ Meine Kaution hab ich natürlich auch nie wieder gesehen.