Twitter mal wieder

Ich hab gestern Abend gleichzeitig vor dem Rechner und dem Fernseher gesessen, als in Mumbai die Hölle ausbrach. Auf der einen Seite lief CNN, auf der anderen Seite Twitter. Allerdings bin ich erst gegen halb 12 in die Übertragung eingestiegen, als der Anschlag schon im vollen Gange war. Das hatte etwas damit zu tun, dass ich, als die ersten Meldungen eingingen, noch im Flugzeug saß. Aber war Twitter jetzt schneller, oder gar besser, als das Fernsehen?

Sagen wir mal so - in Deutschland schon. Denn während Indien in Schockstarre verfiel, während Hotels brannten, Menschen starben und niemand wusste, was als nächstes passiert, sah man in Deutschland nach Mitternacht nur wenig. Das ARD/ZDF nicht in eine komplette Live-Berichterstattung eingestiegen ist, kann man noch einigermaßen nachvollziehen. Aber was machten eigentlich unsere Nachrichtensender, also n-tv und N24? Die Antwort ist einfach: Nichts. Als ich irgendwann nach Mitternacht, als die Lage noch völlig unklar war, daran dachte mal rüber zu schalten, liefen auf beiden Sendern die üblichen Dokus. Nicht mal die Crawler, also die unten laufenden Nachrichtenticker, waren aktualisiert. Es fand einfach nicht statt. Ohne die Kabelsender, ohne CNN, hätte man gar nichts gesehen.

Bei Twitter war dagegen die Hölle los. Es wurden Informationen verteilt, der Dienst Breaking News, der sich schon mehrfach als sehr schnell und relativ verlässlich rausgestellt hat, berichtete im Minutentakt, es wurden Links zu verschiedenen Flickr-Seiten rum gereicht und Blogslinks verteilt. Eine Übersicht über einen Teil der Links findet man bei Now Public. Twitter war so schnell und so gut, dass CNN einen Teil seiner Berichterstattung auf den Informationen aufbaute. Klar - man suchte Augenzeugen, man wollte jemanden mit einer guten und exklusiven Story haben. Die fand man, zumindest teilweise, über Twitter.

Und vor allem baute man Twitter wie selbstverständlich in seine Nachrichten ein. Man sagte "Lets hear it from XY from Reuters" oder "Lets bring in XY, who is reporting on Twitter." Und das war eigentlich das Spannende. CNN hat rasend schnell gelernt und mitbekommen, wie ein dezentrales Nachrichtennetzwerk wie Twitter funktioniert. Nicht nur, dass man die Infos schneller bekommt, nicht nur, dass die Informationen häufig direkt mit Bildern oder pixeligen Videos verknüpft sind, sie haben auch noch den Vorteil, dass sie umsonst sind. Man kann mit wenig Mitteln sehr viel erreichen. Um so unverständlicher, dass bei N24 und n-tv nichts passierte, aber vielleicht ist das Schweigen der beiden Sender, die täglich Nachrichten simulieren, ein schönes Beispiel für den Zustand großer Teile des deutschen Journalismus. Allerdings, das sollte man der fairnesshalber erwähnen, auf Fox News verabschiedete man sich auch aus der Übertragung und ließ stattdessen Bill O'Reilly über Gay Marriage schwadronieren.

Aber so schnell und so gut Twitter funktioniert - es hat auch gewaltige Nachteile. Zum einen braucht man, um einen vernünftigen Informationsfluss zu haben, schon relativ viele Menschen, denen man followt. Vor allem braucht man die nötigen Mediendienste. Das allein reicht aber nicht, will man, so wie CNN gestern, möglichst alles mitbekommen, bleibt einem nichts anderes übrig, als die sich selbst aktualisierende Twittersuche zu nutzen. So toll die ist, sucht man etwas nicht so allgemeines, so unübersichtlich wird sie im ersten Moment, wenn was passiert. Unter dem Hashtag "Mumbai" rappelten gestern rund 10 Tweets pro Sekunde durch. Mit ein paar Kniffen bei der Formulierung der Suche (near:Mumbai within:15mi), konnte man das Ergebnis aber schon einigermaßen eingrenzen. Dafür muss man, lieber Spiegel Online, wo man heute Netzgeschwätz übertönt Augenzeugenberichte titelte, kein Programmierer sein. Es reicht einfach, wenn man die "Advance Options" bei der Suche bemüht und und mal runter scrollt.

Was mich auch an dem Artikel genervt hat - es wurde mal wieder das Fass "Social Media vs. Old Media" aufgemacht. Ich war am Dienstagabend bei einer Podiumsdiskussion in Zürich, wo man sich über die Zukunft der Printmedien unterhalten hat. Eine etwas mühsame Diskussion mit schon lange bekannten Argumenten. Was ähnliches bei Sponline zu lesen, fand ich doch etwas überraschend. Denn CNN hat es gestern vorgemacht. Man kann, vor allem, wenn man das Instrument einer guten Redaktion hat, ganz fantastisch mit den neuen Medien zusammenarbeiten.

CNN war gestern ein ganz hervorragender Gatekeeper. Sie haben versucht, aus dem Gewühl der Informationen, die vernünftigsten raus zu holen. Das ist ihnen nicht immer gelungen, aber das Zusammenspiel von klassischer Nachrichtenarbeit und dem scannen der Social Media Angebote, hat schon mal gut funktioniert. Dabei folgt CNN auch nur dem ältesten aller Mediengesetze: Suche so schnell wie möglich eine Quelle, die möglichst nah dran ist. Es stimmt schon ein wenig, was gestern einer schrieb (leider vergessen wer das war, tauchte in der Twittersuche auf) "Mumbai is not a city under attack as much as it is a social media experiment in action."

War Twitter also besser als die "alten Medien"? Nein. Es war schneller als die meisten Portale der deutschen Medien, es bot mehr Informationen und hätte man, wie pjebsen in einem Hotel ohne Nachrichtensender gesessen, hätte Twitter einem schon sehr weiter geholfen. Am besten funktioniert Twitter in solchen Fällen mit einer guten TV-Nachrichtenredaktion. Wer Twitter schon etwas länger nutzt, wird schon beim Erdbeben in China, oder vorher, als es die Auseinandersetzungen in Tibet gab, fest gestellt haben, dass der Dienst die Nachrichtenübermittlung verändert. Gestern hat Twitter bewiesen dass eben nicht nur Netzgeschwätz ist, sondern genauso funktionieren kann, wie jede Agentur auch.