Freitag, 6. April 2018

Die Sache mit der Frontpage

Jemand erinnerte mich auf Facebook gerade an das Magazin Frontpage und deren Motto "Raving Society" Und das erinnerte mich daran, das ich damals einen wütenden Artikel zum Thema Raving Society geschrieben habe. Von wegen Quatsch, weil das alles nur "Wir haben uns alle lieb" usw. war, und keinerlei philosophischen Unterbau hatte. Nicht mal ansatzweise einen Bezug zur Gesellschaft hatte das oder wie man sie verändern kann. Es war nur ein Schlagwort für die PR in eigener Sache. Überlege gerade, wo der Artikel damals erschienen ist. Entweder Intro oder in irgendeinem Konkurrenzblättchen der Frontpage. Jedenfalls bekam ich ein bisschen Gegenwind von Westbam und anderen, vor allem aus der Kölner Szene.

Um so überraschter war ich, als ich kurz danach vom Chefredakteur Jürgen Laarmann himself angesprochen wurde, ob ich nicht für die FP schreiben wolle. (Ich hatte damals einen ganz guten Namen als Autor für die Intro, einem Jugendableger der WAZ, dem Kölner Stadtanzeiger und meiner sporadisch erscheinenden Kolumne zu obskuren Ambient in der Spex) Das muss 94 oder 95 gewesen sein.

Jedenfalls saßen sie da schon in der Tauentzienstrasse in Berlin. Zweiter oder dritter Stock, hochherrschaftlicher Altbau. Super chaotische Redaktion, sah aus, als ob man gerade eingezogen war. Riesige Räume in denen riesige Röhrenmonitore standen, vor denen leicht gebückt blasse, dünne Gestalten saßen und rauchten.

Laarmann empfing mich, sehr voluminös, sehr aufgekratzt, sehr beeindruckend. Bot mir dann sogar sowas wie eine Ressortleitung bei der FP an, wenn ich mich recht erinnere. Jedenfalls stürzte mich das Angebot in arge Konflikte, weil ich die FP echt mochte. Sie war DIE Zeitung nicht nur für Techno, sondern vor allem für alles drumherum. Design und vor allem Politik und Philosophie. Die Platten und CD-Kritiken hatten immer etwas Diedrich Diederichsen-haftes, nur dass das keiner sagen wollte. Jedenfalls gab es tonnenweise Artikel, die mit dem Namen eines Musikers anfingen um sich dann in etwas völlig anderen verloren. Marxismus, Foucault, Adorno, das hübsche Mädchen auf dem letzten Rave, Drogen, Fleischwurst. Was auch immer. Jedenfalls war neben der Musik halt die Aussage wichtig. Also was der Musiker und man als Autor so mitteilen wollte. Vor allem politisch-philosophisch. Daher kam dann auch die dämliche Idee der Raving Society.

Wir haben damals sehr, sehr ernsthaft daran geglaubt, dass Techno die Welt wirklich verändern würde. So wie der Rock n Roll in den 50er, der im Grunde zu den 68er geführt hatte. Und so dachte man in 90er über Techno. Dass er die Welt zusammenführt und alle sich lieb haben. Oder so. Ja, es waren Drogen im Spiel.

Die FP war Ausdruck dieses Gefühls. Aber auf höchst intellektueller Ebene natürlich. Das Design des Magazins war ebenfalls Ausdruck davon. Ich erinnere mich gut daran, dass ich häufig das Blatt dreimal durchblättern musste, ich bis meinen eigenen Artikel gefunden habe. Den ich dann auch oft nur schwer lesen konnte, weil er in 7pt gedruckt war um ihn auf die Seite zu pressen. Oder weil es aussah, als habe ein gleichzeitig auf Koks, Speed und Tranquilizer druff seiender Designer eine kreative Phase hatte. Meist war es letzteres.

Jedenfalls bot mir Laarmann diesen Job an. Ich habe ein paar Tage überlegt und abgesagt. Nicht, weil ich nicht nach Berlin wollte. Jeder wollte nach Berlin. Ich habe abgesagt, weil im Hinterkopf mein aus einem alten katholischen Kaufmanns-Haus stammendes berufliches Gewissen die ganze Zeit geraunt hat "Das ist eine ganz windige Geschichte hier, aber so was von." Anderthalb oder zwei Jahre später wurde das Magazin dann auch eingestellt.

Was wirklich schade war, denn die FP war vielleicht, neben der aus den Trümmern der FP entstandenen de:bug, das letzte Magazin, dass sich einen Scheiss darum geschert hat, was die Leser eventuell lesen wollen. So kurios das heute klingen mag, damals konnte man sich inhaltlich, und damit auch am Kiosk, damit profilieren, dass man anders war. Das „anders sein“ manifestierte sich vor allem aus den Autoren, die wiederum einfach das geschrieben haben, was sie sagen wollten. Nicht das, was eventuell einen Leser interessieren könnte.

Man ging arroganterweise einfach davon aus, dass das, was man geschrieben hat, auch jemanden interessierte. Erstaunlicherweise fand man auf dem Weg eine ziemlich große Leserschaft und wenn man etwas persistent war und ein bisschen Gefühl für die richtig gesetzte Provokation in seiner Arbeit hatte, landete man halt irgendwann mit Glück bei einer der großen Magazine. Das war halt vor der auf Klicks basierenden Schreiberei von heute.

Bin ich traurig, dass ich damals das Angebot damals abgelehnt habe? Ein bisschen habe ich dass damals schon mit schweren Herzens gemacht. Denn ich wusste, dass ich bei der FP Freiheiten haben würde, wie bei keinem anderen Blatt. Sie war, Mitte der 90er, so ein bisschen wie die „Tempo“ aus den 80ern in der ich damals zum ersten Mal Peter Glasergelesen und verehrt habe. Auf der anderen Seite hatte ich damals Angst davor, dass die Techno-Blase platzen würde. Ein richtiges Gefühl, wie sich dann rausstellte. Ich habe dann die Seiten gewechselt, vom Musik Journalist zur PR und bin erst zu Edel und dann zu Sony Music und nach Hamburg gegangen. Aber das ist dann wieder eine andere Geschichte.

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Freitag, 30. März 2018

Musik! Dystopie! Charts!

Ich war gestern mutig und habe mich durch die Top 20 der deutschen Charts gehört. Das erste Mal seit gefühlt 10 Jahren. Es ist natürlich leicht, gerade wenn man ein kleines winziges bisschen älter ist und lange in der Musikbranche gearbeitet hat, über aktuelle Musik zu lästern. Weil früher ja alles besser war. Das ist natürlich Quatsch. Die Sachen aus den 80er und 90er Jahren, die es in die Charts geschafft haben, waren oft genauso schrottig. Ganz speziell in den 90er Jahren. Von wegen Krimestechno usw. Aufgefallen ist mir allerdings, dass von 20 Stücken vielleicht drei musikalisch etwas anderes machen. Den Rest kann man nicht voneinander unterscheiden.

Natürlich werden Erfolgsrezepte immer kopiert. Natürlich gibt es Phasen, in denen Musiker einen bestimmten Sound produzieren müssen, damit sie in die Charts kommen. Das war schon immer so. Siehe Rock ’n Roll in den 50er, Beatles-Sound in den 60ern, Glam Rock in den 70ern usw. Aber das die Eintönigkeit sich derart verbreitet, ist zumindest mir neu. Auch in den tieferen Position der Charts findet sich eigentlich nichts, was irgendwie dramatisch anders klingen würde. Erstaunlich. Ach ja, ich fand R’nB schon Ende der 90er öde. Nur so zur Info.

1. Olexesh - Magisch Die erste Frage: Wie spricht man den Namen aus? Olegsch? Oh lecksch? Ansonsten: keine Überraschung. Ein Schlager. Also vom Text her. Natürlich nicht von der Musik her. Das ist der übliche 2000er R’n B Müll. Aber Roland Kaiser oder Howard Carpendale hätten daraus einen 1a Schlager gemacht. Und nix gegen Howie, den habe ich mal mit seiner 20köpfigen Band live gesehen. Nicht meine Musik, aber fantastische Show für Zielgruppe. Wo war ich? Ach ja. Olexesh. Ne, dann lieber Howie. Der hatte ein zweistündiges Konzert hingebrettert und seine Fans nass nach Hause geschickt und dann kam er 15 Minuten nach dem Konzert noch mal raus und hat 20 Minuten lang Autogramme geschrieben. Profi.

2. Marshmellow - Friends Netter Rhythmus, die Stimme der Dame ist ebenfalls nicht schlecht. Schöne Anleihen aus den 80ern beim Grundbeat, ein bisschen 90er, ansonsten ein bisschen der übliche 2000er R’n B Müll. Erträglich.

3. Drake - Gods Plan Ja. Ne. Ich kann die zu hochsitzende Unterhose schon sehen wenn ich nur das Stück höre. Nicht mal erträglich nach zwei bis acht Joints. Oder vielleicht dann schon. Keine Ahnung, was der junge Mann da singt. Bad Things erwähnt er. Ansonsten: der übliche 2000er R’n B Müll. Schnell vergessen.

4. Rudimental - These Days Klingt so ein bisschen, als hätte die Kelly Family eine Beatmaschine entdeckt, einen Gospel Chor entführt und das alles auf einem Schiff eingekerkert. Gospel ist ja eigentlich toll, aber hier leider nicht.

5. The Chainsmokers - Sick Boy Soweit ist es also. Wenn man sich einen Bandnamen ausdenkt, mit dem die Kinder zu Hause die Eltern so richtig schocken können, dann nennt man sich „Chainsmokers“. Was war so schlecht an „Peace, Love & Pitbulls“ oder „Eisenpimmel“? Und was kommt dieser Tage als nächstes? „The Gluten Lovers“? Ach so, das Lied. Ja. Klingt eigentlich wie die anderen vier davor. Der übliche 2000er R’n B Müll

6. Ramz - Barking Mir fällt dazu überhaupt nichts ein, so schlecht ist es. Also erwähne ich an der Stelle mal, dass ich wegen Shaun Ryder (Charlatans) in Hamburg aus einer Strip-Bar geflogen bin? Weil Ryder (den ich zu betreuen hatte) quer über den Tisch und die Kellnerin gekotzt hatte.

7. Dua Lipa - IDGAF Oh, da steht „Explicit“ als Warnung dran. Da bin ich mal gespannt. Und ja, der übliche 2000er R’n B Müll. Warte noch auf das explizite. Hah! Da war es. „Don’t give a fuck“ wurde gesungen. Das fasst ziemlich genau meine Einstellung zu diesem Stück zusammen.

8. Post Malone - Psycho Nettes Intro. Für 5 Sekunden. Weckte kurz mein Interesse. Dann: der übliche 2000er R’n B Müll. Kann das sein? Die gesamten Top Ten der übliche 2000er R’n B Müll? Irgendwie entwickelt sich dieses Experiment zu einer schrecklich wahr gewordenen Dystopie.

9. Zedd - The Middle Aha. Mal ein bisschen was anderes. Also natürlich der übliche 2000er R’n B Müll samt Autotune Stimme. Aber irgendwie besser produziert, netter Sound, nette Breaks. Ganz netter Popsong. Kann man machen, auch wenn ich jetzt persönlich nicht mag. Aber verstehe, warum der Song in den Charts ist.

10. Bausa - Was Du Liebe nennst Schlager. Habe ich schon vermisst. Natürlich nennt das heute keiner Schlager. Immerhin wird hier von gemischten Gin Tonic gesprochen. Man trinkt also noch, das ist beruhigend. Und der junge Mann disst im Song Drake (siehe oben). Das macht ihn sympathisch. Der Song ist natürlich der übliche 2000er R’n B Müll. Aber auch hier nachvollziehbar, warum der mit dem Text (Liebe usw.) in den Charts ist.

11. Sean Paul - Mad Love Oha. Ragga. Lange nicht mehr gehört, muss ich sagen. Ich mochte diesen Deep Root Ranga Was das natürlich bei weitem nicht ist. Das ist Ragga wie ihn sich ein Sparkassen Angestellter aus Lüdenscheid vorstellt. Aber brauchbarer Song. Nix neues, hat es alles schon drölfzig mal gegeben. Aber nach dem ich gerade 10 mal den üblichen 2000er R’n B Müll gehört habe, freuen sich meine Ohren über was anderes.

12. Tom Walker - Leave a light on Ein Brite? Ich vermute. Ein Liebeslied, ziemlich sicher. Der junge Mann lässt auf jeden Fall das Licht an. Also im Song. Das ist ja schon mal nett. Ebenso seine Stimme. Bin sogar leicht beeindruckt. Da steckt Potenzial drin. Nicht im dem Song, 08/15 Ware, hört man pro Jahr mindestens einmal. Aber die Stimme halt.

13. David Guetta - Like I do Den kenne ich! Also den Namen. Der erste Künstler, dessen Name ich schon mal gehört habe. Natürlich ist Guetta totaler Schrott. Ein Musik gewordener Kindergeburtstag auf Kokain aus den 90ern.

14. Azet - Kriminell Aha. Jungs aus der Hood. Klinge am Hals der Bitch, und so. Angedeuteter Ragga. Ich weiß nicht, ob mir schlecht ist, oder ob ich lachen soll. Das hat man ja auch selten, dass man gleichzeitig kotzen und lachen muss. Geht das überhaupt? Wenn ich das Ding noch 10 Sekunden weiter höre, könnte ich rausfinden, verzichte aber.

15. Jax Jones - Breathe Ach ja, gar nicht so schlecht. Eingängiger Popsong. Kann man schön zu putzen, nehme ich an. Kann ich nichts schlechtes zu sagen. Einfach ein klassischer Song für die Charts. Guter Sound, nette Hookline.

16. Ed Sheeran & Eminem Kenne ich auch! Beide! Das ist aber ungefähr die unerwarteteste Kombination zweier Künstler, seit dem Freddie Mercury mit Monserrat Caballé zusammen „Barceloooooonaaaaaa“ gesungen hat. Song - naja. Nicht schlecht. Ein bisschen wie ein geschmackloser Tee, den man sofort wieder vergisst, nachdem man ihn getrunken hat.

17. Niki Jam - X Ist das Spanisch? Ich glaube ja. Raggamuffin, again. Auf spanisch. Macht es auch nicht besser. Aber klingt immerhin mal anders. Erinnert mich ganz, ganz am Rande an Manu Chao. Jetzt nicht mal unbedingt schlechter, so von der Stimme her. Vom Song allerdings schon. Klingt so wie eine schlechte Band, die auf Hochzeiten spielt und sich vorgenommen hat jetzt mal was eigenes zu machen.

18. Shawn Mendes - In my blood Oh, eine elektrische Gitarre. Die man hört. Na sowas. Und ganz okayer Song. Baut sich schön auf, netter Refrain. Und halt eine Gitarre. Kann man aushalten. Ist halt Pop. Mir sagte Ian Broudie von Lightning Seeds mal, dass ein guter Popsong vor allem einen guten Refrain braucht. Damit könne mal alles verkaufen. Stimmt offenbar immer noch.

19. Rooz - Immer wieder Musste ich mir das Video anschauen, weil es auf Spotify nicht vorhanden war. Mensch am Swimming Pool. Vermutlich Mallorca. Im Hintergrund sitzen Menschen rum, wobei unklar ist, ob die jetzt dazu gehören, oder einfach nur Staffage sind. Ach ja. Die Musik. Keine Überraschung, wenn ich jetzt "der übliche 2000er R’n B Mül“ schreibe.

20. Justin Timberlake - Say something Den kenne ich natürlich auch. Der hatte sogar mal einen Song, den ich ganz gut fand. Produktion dieses Liedes ist natürlich 1a, kann man nicht meckern. Ansonsten bedient er halt das, was man im Moment offenbar gerne hört. Etwas komplexer, da hat sich einer beim komponieren auch Gedanken gemacht. Nicht zwingend mein Geschmack, aber beleidigt einen auch nicht. Und der einzige Song, der über 4 Minuten ist. Auch selten sowas.

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Dienstag, 27. März 2018

Hamburg vs. Berlin (mit Video)

Ich habe ja sechs Jahre in Hamburg gelebt und bin da nicht wirklich heimisch geworden. Weil mir alles zu distanziert war. Die Menschen vor allem. Das war ich, als als geborener Rheinländer, nicht so richtig gewöhnt.

Es gab in den 90ern eine Zeit, in der Hamburg "die" Stadt war. So in Sachen Musik und Kunst. Damals war ich kaum 30 und ich war heiss auf Hamburg. Mitte der 90er war Hamburg die Stadt "to be". Weit vor Berlin. Ich habe damals einen Job als Leiter des Büros von Sony/Columbia gehabt und ich habe es geliebt. Einerseits. Anderseits habe ich habe damals für einen Moment das Gefühl gehabt, die Liebe meines Lebens gefunden zu haben und die Trennung von ihr was bisher die einer der schwereren Momente meines Lebens. Das gilt bis heute. Alles in allem war Hamburg also eher Scheiße. Insgesamt. Weil die Leute scheisse waren.

Ich habe immer gesagt, dass ich Hamburg super finde, wenn es die Hamburger nicht geben würde. Weil die mit ihrem Sein als "Hamburger" alles kaputt machen. Weil die Reeperbahn und die Schanze nur eine Fassade sind für die eigentlich extrem konservative und fürchterlich inklusive Grundhaltung. Wenn man nicht gebürtig aus Hamburg ist oder das gebürtige angenommen hat, ist man draussen. Deswegen mögen sich die Hamburger und die Menschen aus München auch so. Schein statt sein ist beiden Städten eher wichtig.

Weil sie eine kompatibele Lebens- und Denkweise haben ist München so nahe. Und deswegen mögen Hamburger und Münchner die Leute in Berlin nicht. Weil Berlin für das krasse Gegenteil steht. Selbst heute noch. Dafür sind sich die Kölner und Berliner emotional nahe weil sie gleiche "Leck mich am Arsch" Einstellung zu vielen Dingen im Leben haben. Vor allem, wenn es um ihr eigenes Leben geht. Weil es in Berlin egal ist woher du kommst, wie alt Du bist und was Du machst. In Hamburg wird das alles bewertet und wenn Du aus dem Raster rausfällst, dann ignoriert man dich. Das würde in Berlin oder Köln nie passieren. Wo Hamburg einen nach dem gesellschaftlichen Status bewertet, gilt in Berlin und in Köln einfache Frage. "Bist du ein Arschloch, oder nicht". Egal wie alt Du bist, egal was du beruflich machst. Wenn du ein 60jähriger Lebenskünstler bist, kannst Du in Berlin auf jede Party gehen und Spaß haben. In Hamburg bist du dann entweder ein Künstler (für diese Bewertung muss man allerdings 20 Jahre im Underground gearbeitet haben) oder du bist ein arbeitsloser Penner, der nichts erreicht hat.

Unbenommen von all diesen Dingen gibt es ein Stück, dass vermutlich in 100 Jahren immer noch eine Hymne für die Stadt Hamburg ist. Weil sie in allen Einzelheiten stimmt. Kaum ein Lied hat Hamburg und Sehnsucht nach dieser Stadt, die ich, trotz all der Scheisse, manchmal immer noch habe, so genau beschrieben. Und manchmal singe ich leise den Refrain, wenn ich meiner Lieblingsstadt Berlin in der U-Bahn sitze.

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Sonntag, 4. Februar 2018

Athen

"Athen ist natürlich ganz anders, aber im Moment gerade so ein bisschen das Gegenteil von Berlin", sagte mir Y., zwischen zwei Schluck Rotwein. „Hier kann man halt superbillig und gut leben, Mietwohnungen kosten quasi nichts und Vermieter laufen einem hinterher, wenn man was sucht. Dafür bekommt man keinen Job und wenn man einen hat, verdient man kein Geld damit.“ Y. pendelt, wie viele Kreative, zwischen Athen und Berlin hin und her. Je nach dem, wo der freie Autor gerade einen Job hat. Und damit hat er Athen schon ganz gut zusammen gefasst.

Athen befindet sich in einem nur langsam abklingenden Schockzustand. Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise um 2009 rum hat sich das Land nicht wirklich erholt. Ein kurzer Spaziergang durch die Stadt macht das deutlich. Etliche geschlossene und verfallene Geschäfte, einige leerstehende und verwahrloste Mietshäuser, selbst in der Innenstadt. Die Infrastruktur hat bessere Tage gesehen. Altbauten verfallen, Plätze werden nur minimal gepflegt. Ein bisschen wirkt Athen auf den ersten Blick wie der auf die schiefe Bahn gekommene Bruder von Barcelona.

Aber das ist natürlich nur eine Seite Medaille. Unter der vermeintlich etwas mitgenommen Oberfläche breitet sich dafür eine interessante und vielfältige Kreativität aus. Ich habe selten so viele interessante und gute Graffiti in einer Stadt gesehen. Die bleiben teilweise auch deswegen, weil die Stadt einfach kein Geld hat, sie wieder weg zu machen, dafür breitet sich in der Stadt ein ganz eigener Style aus. Es gibt es viele kleine Kneipen, in denen sich Künstler treffen, lustigerweise gerade in so Vierteln wie Psyri. Das liegt am Fuß der Akropolis, nahe der „Flohmarkt“ titulierten Touristenfalle an der U-Bahn Station Monstiraki. Tagsüber sind hier auch viele Touristen, Abends übernehmen die Griechen Psyri, das vollgestopft ist mit Kneipen. Die sind nicht gerade billig (großes Bier 0,4l = 5 Euro), aber das stört hier auch keinen.

„Warum sollte man aufhören Spaß haben?“, meinte meine Gastgeberin. „Die Athener haben eine Menge durchgemacht und sich an die Lage gewöhnt. Irgendwann hat man keine Lust mehr jeden Cent für Rechnungen auszugeben, also geht man was trinken. Wird schon gut gehen.“

Wenn man ausgeht spürt man die Lust der Menschen am Leben. Man spürt die Kreativität, die die Krise herausgefordert hat. Denn ohne kann man hier nur schlecht überleben. Man spürt auch, dass die Künstler und Kreativen (meine Gastgeberin ist Kamerafrau und dreht Kinofilme) durch die massiven Kürzungen des Kulturbudget arge Probleme haben. Andererseits stimmt halt auch der alte Spruch, dass die Not wiederum andere kreative Kräfte freisetzt. Die Kunstszene lebt, vibriert und macht halt einfach viel in Eigenregie. Eintritt zahlt man selten, dafür säuft man halt ein bisschen mehr an der Bar.

In den vollen und lauten Kneipen und Pop-Up Galerien in irgendwelchen Abbruchhäusern merkt man nichts von der Krise. Wohl aber, wenn man in ruhigeren Läden mal mit ein paar Athener in der Ecke sitzt. Die Themen Job, Geld, Europa und Deutschland (bzw. Merkel/Schäuble) tauchen unwiderruflich auf. Wenn man sich daran abgearbeitet hat, dann folgt meist ein „Ach, wird schon“. Die Athener haben ein dickes Fell. Zwangsweise.

Dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass sich der Schock über die Wirtschaftskrise und deren Folgen immer noch auf das Gemüt der Griechen legt. Was verständlich ist. Die Auswirkungen der Krise ziehen sich durch alle Schichten. So berichtete mir jemand von einer Bekannten, die von ihrem Vater etliche Wohnungen gerbt hatte. Vor der Krise kam sie durch die Mieteinnahmen auf ein Einkommen von mehr als 7.000 Euro. Jetzt seien es nur noch 1.500 Euro. „Die Wohnungen stehen leer, weil keiner Geld hat,“ so der Erzähler. Man kann sich vorstellen, was die Krise mit jenen gemacht hat, die schon vor 2010 gerade so über die Runden kamen.

Das hat aber überhaupt nichts an der Herzlichkeit der Menschen verändert. Im Gegenteil. Es scheint fast so, als haben die Griechen der strengen Austeritäts-Politk der EU und des IWF einen fast trotzigen Sozialismus entgegen gestellt. „Wenn Dein Leben von neoliberalen Kapitalisten bestimmt wird, dann muss man sich wehren“, sagte mir ein Freund meiner Gastgeberin. Gegenseitige Hilfe, Selbstorganisation und ein bisschen Beschiss dem Staat gegenüber sind drei sehr wirkungsvolle Waffen der Griechen. Als ich in Athen war machte gerade die Geschichte von Arbeitern aus Thessaloniki die Runde, die seit Jahren ihre alte Fabrik mehr oder weniger besetzt haben und dort in Eigenregie Seife produzieren. Der Besitzer der Anlage will das nun beenden, was zu großer Empörung geführt hat.

In den paar Tagen, in denen ich da war, habe ich mich nie als Tourist gefühlt, den man etwas mehr abluchsen kann. Ein Beispiel: Ich hatte meinen Barttimmer vergessen und wollte einen neuen kaufen. In einem Geschäft nahe des Athener Marktes sah ich einen im Schaufenster eines kleinen Elektromarktes. Der Inhaber sprach ein bisschen Englisch und fragte, ob ich lange bleiben würde. „Nur ein paar Tage,“ antwortete ich, worauf er meinte „Ach, dann ist der viel zu teuer. Ich habe hier irgendwo einen einfachen, kleinen Trimmer, der reicht doch auch. Kostet 8 Euro.“

Egal, wo ich war. Ob ich mit Händen und Füssen versuchte zu erklären, was ich in einem Laden wollte, oder ob ich ratlos irgendwo rum stand - jederzeit reagierte man zutiefst freundlich und herzlich. Da ich ja nun ein bisschen in der Welt rumkomme und einiges erlebt habe, kann ich wohl sagen, dass ich das in der Art wirklich selten erlebt habe.

Athen mag einem von außen laut, chaotisch, ruppig und ein bisschen runtergekommen erscheinen. Aber dahinter verbirgt sich eine grandiose Offen- und Herzlichkeit. Der Stolz der Griechen mag angeknackst sein, aber er ist nicht gebrochen. Und wenn sich das Land sukzessive in den nächsten Jahren erholt, dann wird Athen eine der spannendsten Städte in Europa sein.

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Donnerstag, 8. Juni 2017

Roger Waters - Is This the Life We Really Want?

Fear, fear drives the mills of modern man Fear keeps us all in line Fear of all those foreigners Fear of all their crimes Is this the life we really want?

Roger Waters ist ein Besessener. Klar. Jemand, der seine Kindheit, seine Therapien und seine Ängste 16 Jahre lang innerhalb einer Band ausgelebt und bombastisch in Alben öffentlich gemacht hat, ist besessen. Nach dem Bruch mit Pink Floyd hat seine Besessenheit nicht nach gelassen, wohl aber sein musikalischer Output. Aus parallel zum „The Wall“ Album entwickelten Material bastelte Waters 1983 "The Pros and Cons of Hitch Hiking“. 1987 folgte das stark vom Thatcherismus der 80er geprägte "Radio K.A.O.S.“.

1992 folgte dann „Amused to Death“, sein bisher vielleicht bestes Solo-Album. Er packt seine Gesellschaftskritik rund um die Geschichte von Billy Hubbard, einem Soldaten des Ersten Weltkriegs, der im Kampf fiel. Das ganze Thema Krieg (erster Irak-Krieg) TV und Demokratie arbeitet Waters in einer musikalischen Orgie auf, perfekt aufgenommen mit einer ganzen Armada von Stars als Gastmusikern. „Amused to Death“ ist auch 25 Jahre nach seiner Veröffentlichung ein Statement, eines der besten Alben der 90er Jahre und bis heute sind die meisten Texte, trotz Internet und den veränderten sozialen wie politischen Umständen, zeitlos geblieben.

Und dann - 25 Jahre nix, außer einer Oper. Und natürlich unzähligen „The Wall“ Touren. Von irgendwas muss der Mann ja leben.

Roger Waters wird dieses Jahr 74 Jahre alt. Das ist jetzt nicht gerade jung. In dem Alter verzettelt sich so mancher Star in sein Alterswerk. Um so erstaunlicher ist dann dieses neue Album, weil es genauso von seiner Besessenheit und seinem Zorn lebt, wie bei „Animals“ oder wie beim sehr politischen „Final Cut“ vor 34 Jahren. Vielleicht hat sein Alter ein bisschen was abgemildert, aber viel war es nicht. Waters nimmt sich in dem 60minütigen Album alle und alles vor. Die Imperialisten, die Neoliberalen, die Lügner, die Klimavergifter, die Reichen, den Krieg der Dronen, die Terroristen und die gesamte Menschheit.

And every time a student is run over by a tank And every time a pirate’s dog is forced to walk the plank Every time a Russian bride is advertised for sale And every time a journalist is left to rot in jail Every time a young girl’s life is casually spent And every time a nincompoop becomes the president Every time somebody dies reaching for their keys And every time that Greenland falls in the fucking sea is because All of us, the blacks and whites […] (er zählt da noch weitere auf)

Wie immer, wenn man ein Album von ihm hört, schwingt da eine Menge Pathos mit. Waters gibt es nicht ohne Pathos, ohne den „Da, schau hin“ Anspruch. Der ist etwas aus der Mode gekommen. Vermutlich, weil Roger Waters und viele andere recht damit haben, wenn sie sagen, dass man es nichts mehr sieht, nichts mehr sehen will, weil man nichts mehr sehen kann. Weil die Bilder von verhungernden Menschen, an Stränden angeschwemmten Kinderleichen und plattgewalzten oder in die Luft gesprengten Gliedmaßen uns einfach nicht mehr erreichen können. Weil wir abgeschaltet haben. Um selber weiterleben zu können. Aber anklagender Pathos ist unbequem, weil er daran erinnert, dass man ja selber auch nicht immer viel besser ist.

And if I were a drone Patrolling foreign skies With my electronic eyes for guidance And the element of surprise I would be afraid to find someone home Maybe a woman at a stove

Einfach macht es einem Roger Waters mit dem Album inhaltlich also schon mal nicht. Und musikalisch?

Waters bleibt auch hier seiner Linie treu. "Is This the Life We Really Want?“ vereint die Pink Floyd der späten 70er und die letzten beiden Solo-Alben von ihm selber. Manche Stücke klingen nach „Oh, das könnte jetzt auch von „Dark Side…“ kommen, manche von „Amused to Death“. Und „Bird in a Gale“ könnte ein Stück von „Animals“ sein. Langweilig werden die Zitate nie. Vielleicht, weil sich Waters hier und da auch woanders bedient. Ein bisschen Jeff Beck, ein bisschen Thom Yorke, aber das ist auch kein Wunder, produziert wurde das Album von Nigel Godrich, der wiederum etliche Alben von Radiohead produziert hat.

Das klingt also alles irgendwie ein bisschen bekannt, vor allem das Piano von Waters, manche Riffs und hier und da meint man sogar doch den Einfluss von Gilmore zu hören, auch wenn der gar nicht bei der Aufnahme mitgewirkt hat. Aber Waters verzichtet, anders als bei Pink Floyd oder „Amused to Death“ auf zu viel Bombast. Doch, ja, den kann man hier und da auch hören, aber nur als Andeutung. Wo er früher sich und seine Zuhörer in lange Soli entführte, bricht er heute mit leisen Tönen ab. Fast so, als ob die Musik nicht ablenken soll von den Texten, die vor Metaphern und Andeutungen nur so platzen. Musik und Text erschlagen sich nicht gegenseitig. Es ist fast ein bisschen so, als würde Roger Waters eine Stunde lang vor einem am Tisch sitzen und eine Geschichte erzählen.

Was ein großer Unterschied zu „Amused to Death“ ist, wo er sich quasi das Herz rausreisst, untermalt von sehr vielen Streichern, wimmernden Gitarrensoli und dann anklagend fragt, warum man denn immer noch nicht zuhört. "Is This the Life We Really Want?“ ist anders. Die Fragestellung gibt das schon vor. Eine fast sanfte musikalische Untermalung für eine rhetorische Frage.

We cannot turn back the clock Cannot go back in time But we can say "fuck you"

Nein, das ist kein leichtes Album. Und nein, auch keins, das gute Laune macht. Es ist ein böses, ein teilweise frustrierendes und trauriges Album, weil man ja weiß, dass Roger Waters ja Recht mit fast allem hat. Der leicht reduzierte musikalische Pathos umschliesst Texte, die zwischen Metaphern und direkter Sprache hin und her pendeln. Wo er irgendwann die Frage stellt, was uns eigentlich von Ameisen unterscheidet. Eine Frage, die schon den Quantenphysiker Werner Heisenberg mal beschäftigt hat. Und keine zufrieden stellende Antwort gefunden hat. Waters findet die auch nicht. Aber untermalt sie in den letzten drei Stücke mit einem zuckersüßen, tragenden, sehr traurigen Klavier neben dem er den Text fast resignierend vorträgt.

Das Album ist also eine gute Mischung aus allem, was Waters in den letzten 40 Jahren gemacht hat. Keine Quintessenz, kein Alterswerk, eher eine konsequente Fortführung dessen, was an ihn immer angetrieben habt. Musikalisch vielleicht nicht heranreichend an seine Pink Floyd Zeiten oder an „Amused to Death“, dafür aufgeräumter, klarer, dichter und das, ohne langweilig zu wirken. Es ist ein großes Album.

Und das ist vor allem auch deswegen, weil es erstaunlich ist, dass es der 73jährige Roger Waters ist, der überhaupt mal wieder ein großes Konzeptalbum auf den Markt bringt. Und es dem Nachwuchs um die Ohren haut. Man das ist ja nicht mehr gewohnt, dass es sowas überhaupt gibt, ein Album, dass eine Stunde lang eine Geschichte erzählt.

Man erfreut sich ja heute schon daran, dass M.I.A. ein vierminütiges Video über Flüchtlinge rausbringt. Geradezu ekstatisch reagieren andere, wenn Kendrick Lamar sich mal einen 7 Minuten Song zusammen sampelt. Das ist alles an sich nicht schlecht, aber weit, weit weg von dem, was Roger Waters kann und leistet. Und das macht das Album so groß. Und so traurig, denn Waters zerlegt mit 73 Jahren und in 60 Minuten einen großen Teil des musikalischen Nachwuchs.

Note: Auf Genius Lyrics gibt es die Texte mit Interpretationen (auf die grau unterlegten Felder klicken)

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